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Alte Argumente gegen neue Feinde

Veröffentlicht am 05/02/2020

Wolfgang Benz

 

Im Diskurs über die angebliche Überfremdung Deutschlands und die Gefahr, die durch „den Islam“ dem Abendland drohen soll, fließen zwei Ströme zusammen. Für den einen ist Thilo Sarrazins Pamphlet „Deutschland schafft sich ab“ repräsentativ als Gebräu aus sozialdarwinistischen, nationalistischen und rassistischen Ingredienzien. Der andere transportiert religiöse und kulturelle Ressentiments. In den säkularisierten Gesellschaften Europas ist das weder ein Signal der Wiederkehr von Religion in den Alltag der Menschen noch der oft beschworene „clash of civilizations“ als Kampf der Kulturen. Der religiöse Vorbehalt ist ein Relikt aus der Asservatenkammer. Als Argument der Ausgrenzung hat die Diskriminierung der Religion eine lange Tradition. Katholische Christen verdammten aus politischen Gründen protestantische Christen und umgekehrt. Die pauschale Diffamierung des Glaubens anderer macht diese zu Fremden und gefährlichen Feinden. Ausdruck der Abwehr sind die Angriffe gegen Moscheen. Etwa 80 Anschläge sind im Jahr 2019 geschehen.

Auch die Stigmatisierung des Islam hat ein historisches Vorbild. Das religiöse Ressentiment gegen die Juden erfuhr im 19. Jahrhundert in der Diskussion der „Judenfrage“ – dem Problem der rechtlichen und sozialen Gleichstellung einer Bevölkerungsgruppe, die seit Jahrhunderten auch in Deutschland lebte – eine drastische Verstärkung durch die Rassendoktrin, mit der die Ausgrenzung vertieft und ausweglos wurde – trotz der Emanzipation, die den Juden 1871 volles Bürgerrecht in der Verfassung des Deutschen Reiches garantierte. Die Muslimfeinde unserer Tage sind von ähnlichen Ängsten getrieben wie die Judenfeinde, die am Ende des 19. Jahrhunderts Deutschlands Unglück durch die Zuwanderung von ein paar Tausend Ostjuden beschworen. Die Furcht vor Überwältigung und Überfremdung begründen heute „Islamkritiker“ mit angeblichen Geboten der Religion der vermuteten Aggressoren: Die Ausbreitung des Islam bedeute, „dass unsere Nachkommen – und wahrscheinlich schon wir selbst – aufgrund der kulturellen Expansion und der demographischen Entwicklung in zwei, drei Jahrzehnten in einer weitgehend islamisch geprägten Gesellschaftsordnung leben müssen, die sich an der Scharia und dem Koran orientiert und nicht mehr am Grundgesetz und an den Menschenrechten.“ So heißt es in den „Leitlinien“ eines Weblog, der gegen eine vermeintlich drohende religiöse Diktatur von Muslimen kämpft.

Die Sorge, durch demographische Entwicklungen ins Hintertreffen zu geraten, plagte auch schon die Judenfeinde der Gründergeneration des Antisemitismus. Ein Demagoge predigte zur Zeit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einem dankbaren Publikum, das sich durch die Doktrin der Überfremdung in seinen Existenzängsten bestätigt sah, die Lehre von den Gefahren der Migration: Aus der Brutstätte Polen ergieße sich ein Strom von Juden, der Deutschland überfremde. Der Antisemit Otto Böckel, der das behauptete, hatte damals großen Zulauf. Er ist längst vergessen, aber seine Ängste wurden auf eine neue Minderheit übertragen.

Abwertende Zuschreibungen wie Integrationsunwilligkeit oder Unfähigkeit zur Assimilation oder Unverträglichkeit der Kulturvorstellung der Fremden bzw. als fremd Definierten mit der eigenen werden aus vielen Zutaten destilliert, dazu eignen sich Religion, Kultur, Rechtsauffassung, Sitte und Brauch, die sich von Autochthonen unterscheiden. Die Topoi der Abwehr weisen signifikante Parallelen zwischen der Emanzipationsdebatte des 19. Jahrhunderts und dem Diskurs über die Integration von Migranten unserer Tage auf. Die Unvereinbarkeit der Kulturen der Herkunfts- und der Aufnahmegesellschaft wird behauptet und die Religion spielt eine wesentliche Rolle als negative Zuschreibung in der Abwehrargumentation.

Die derzeit beschworene Gefahr einer „Islamisierung Europas“, ausgetragen in Kopftuchdebatten, artikuliert im Verlangen nach Moschee- und Minarettverboten, agiert mit hasserfüllten Tiraden in der Blogger-Szene, greift auf jahrhundertealte Deutungsmuster zurück. Dass es Reformbedarf in islamischen Gesellschaften gibt, steht außer Frage. Dass die Gesetze der Mehrheitsgesellschaft in Zuwanderungsländern unbedingte Geltung haben, ist jedoch ebenso unstrittig. Solidarität mit muslimischen Frauen, die solidarischer Hilfe bedürfen und diese wollen, ist legitim, rechtfertigt aber nicht eine generalisierende „Islamkritik“, wie sie als pauschale Dämonisierung des Islam durch Aktivisten ohne Sachkompetenz geübt wird.

Dass populistische Islamfeindschaft, die Hass gegen eine fremde Kultur predigt und Intoleranz proklamiert, an anderen Traditionen der Feindseligkeit gegen Menschen wie dem Antisemitismus oder dem Antiziganismus zu messen ist, bedarf eigentlich keiner Begründung.[1] Wer dies aber öffentlich thematisiert, etwa auf Parallelen zur Agitation des organisierten Antisemitismus im späten 19. Jahrhundert verweist, wird mit Krawall überzogen, weil das eine angeblich nichts mit dem anderen zu tun hat. Es ist aber die vergleichbare Reaktion der Mehrheit gegen eine Minderheit. Die Strategie des islamfeindlichen Diskurses zielt dahin, den „Islam“ als eine religiöse, kulturelle und vor allem politische Einheit erscheinen zu lassen, für die islamistischer Terror typisch sein soll. Damit soll die Gefahr, die von „den Muslimen“ angeblich ausgeht, bewiesen werden, um Muslime aus der Gesellschaft auszugrenzen. So wurde im 19. Jahrhundert gegen Juden gehetzt. Die Argumente sind die gleichen, aber neue Feinde wurden ausgemacht und die einst Ausgegrenzten sollen mit der törichten Parole vom „christlich-jüdischen Abendland“ einbezogen werden in die Front gegen „den Islam“.

 

 

[1] Vgl. Wolfgang Benz (Hrsg.), Islamfeindschaft und ihr Kontext. Dokumentation der Konferenz „Feindbild Muslim – Feindbild Jude“, Berlin 2009.

 

Wolfgang Benz

Historiker
Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung (1990-2011)

Autor von:

Enzyklopädie des Nationalsozialismus (1997)
Was ist Antisemitismus? (2004)
Feinde des Morgenlandes (2012)

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