ZURÜCK

Was brennt, wenn Moscheen brennen?

Veröffentlicht am 19/07/2019

Ahmad Milad Karimi

 

Es sind nicht Orte, die brennen – ein Brand geschieht an ihnen. Aber Orte sind Zeugen. Wenn heute eine Moschee in Brand gesetzt wird, können wir vor Ort den Brand riechen, sehen, wie sich über alle Dinge die schwarze Farbe der Unkenntlichkeit gelegt hat. Betende sind erstarrt, Koranausgaben und andere Bücher liegen am Boden, unlesbar, unberührbar. Der Innenraum zerfällt in sich. Wenn allein im Jahr 2019 mehr als 28 Moscheen Opfer von Brandanschlägen geworden sind, wenn in den letzten fünf Jahren mehr als 500 Anschläge gegen muslimische Gebetshäuser verübt wurden, so dürfen wir fragen, von was die verkohlt zurückgebliebenen Orte Zeugnis ablegen? Was brennt, wenn Moscheen brennen? Nicht jede Moschee in Deutschland hat einen bedeutenden, ästhetischen Wert. Oft genug sind es die sogenannten „Hinterhofmoscheen“. Doch selbst diese Orte haben einen emotionalen Wert, weil sie die Geschichte jener Generation von Menschen erzählen, die ihre Sehnsucht nach einer Wirklichkeit, die größer ist als sie einen Ort geschaffen haben. Gebete sind Ausdruck menschlicher Sehnsucht. Eine Moschee versammelt die Wünsche, die Hoffnungen der Menschen, die Schulter an Schulter stehen und sich niederwerfen.

Diejenigen, die in Moscheen vor allem ein falsches Symbol sehen, sei es für eine Religion, die sie pauschal ablehnen, sei es für eine bestimmte Politik, die sie kritisieren, verkennen die Sache, verkennen die Wut, die sich als Feuer ausbereitet. Wie jedes andere Gebetshaus auch ist eine Moschee mehr als ein Symbol. Sie ist nicht eine Flagge, die „den Islam“ – oder „die türkische Regierung“ repräsentieren würde. Als Ort gelebter Religiosität stehen Moscheen nicht für politische Programme, die man ablehnen kann, sondern für sich selbst. Und wenn in Moscheen gepredigt wird, was die Würde der Menschen verachtet, dann geht es um Menschen, die für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Doch Brand ist die Sprache der Barbarei, der Inhumanität, die keine Toleranz, aber vor allem kein Wegschauen erlaubt.

Genau wie Kirchen und Synagogen gehören Moscheen zu den Orten, die die Menschen einer Gesellschaft in besonderer Weise repräsentieren und die darum besonders verwundbar sind. Eine Moschee ist wesentlich ein Ort, an dem der Mensch er selbst sein darf, an dem er nach Frieden sucht und Frieden findet.

Moscheen sind Orte der Begegnung, Kathedralen der Hoffnung. Es ist kein Zufall, dass unsere Verfassung die freie Ausübung der Religion garantiert, wenn ihre Praxis nicht der demokratischen Ordnung widerspricht. Unsere demokratische und säkulare Gesellschaft muss ein Interesse an den Quellen haben, auf denen das Selbstverständnis und die Überzeugungen ihrer Mitglieder beruhen, ohne sich dabei selbst religiös  zu vereinnahmen. Zum Zusammenhalt einer Gesellschaft gehört neben der Kultur und der Kunst auch und insbesondere die freie Ausübung der Religion. Es sind gemeinsame Bilder, geteilte Erfahrungen der Spiritualität und Einkehr in die Innerlichkeit, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Es sind die abrahamitischen Religionen, die im Antlitz von jedem Menschen die Würde der ganzen Menschheit erblicken. Religion und Religiosität gehören nach wie vor elementar zum modernen Menschen, ohne dass die Verfassung irgendeine Religion bevorzugen würde.

Muslime versuchen seit einiger Zeit den Missstand ihrer Bedrohtheit kommunikabel zu machen. Ihre Moscheen werden verunglimpft, beschmiert, entsakralisiert, bedroht und in Brand gesetzt. Ist es aber die Aufgabe der Muslime als einer Minderheit sich selbst zu verteidigen? War es die Aufgabe der Juden in Deutschland, ihre Synagogen vor Brand zu schützen? Mitnichten! Denn die Verantwortung für die Synagogen ist genau wie diejenige für die Kirchen immer schon eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. Brennt eine Synagoge, so brennen wir Muslime mit. Nichts anderes wird die jüdische Religion über die Moschee sagen. Es ist der bedeutende jüdische Gelehrte, Moses Maimonides, der für angemessen erachtet, dass die Juden auch in einer Moschee ihr Gebet vollführen können. Und es ist der Kölner Dom, der am 3. Februar 1965 Hunderte von muslimischen Gastarbeitern für den Vollzug des Gebets aufnahm, d.h. die Größe besaß, als Moschee zu fungieren. Was stellt aber eine Moschee dar? Die Moschee stellt die spirituelle Heimat der Muslime dar. Dass ausgerechnet inmitten so vieler Brandstiftungen immer wieder die Stimme zu hören ist, dass der Islam nicht zu Deutschland gehöre, ist beachtlich, unabhängig davon, dass die Aussage und deren Gegenteil gleichermaßen leer bleiben. Muslime von ihrer Religion zu abstrahieren, ist nichts als reine Wortakrobatik. Gerade in Deutschland hat jede Moschee eine eigene Geschichte, eine eigene Ästhetik, eine eigene Zerbrechlichkeit, die zugleich die Geschichte der Menschen erzählt, die Teil dieser Gesellschaft sind. Was brennt, wenn die Moscheen brennen? Das Feuer nimmt nicht die Orte, sondern den Geist der Orte hinweg. Was bleibt, sind Menschen vor Ruinen, die womöglich sie selbst repräsentieren.[1]

 

Prof. Dr. Ahmad Milad Karimi

Universität MünsterUniversität Münster
Stellvertretender Leiter des ZIT
Professor für Kalām, Islamische Philosophie und Mystik

 

 

 

„Dieser Text ist die erweiterte Fassung eines Radiobeitrages von Prof. Karimi für Deutschlandfunk Kultur“

_____________________________________________________________________________________________

[1] Der Beitrag wurde in „Politisches Feuilleton“ des Deutschlandfunkes am 27.03.2018 in einer kürzeren Fassung ausgestrahlt.

Haben Sie auch Informationen, die für unsere Dokumentation maßgeblich sind? Dann melden Sie sich bei uns!